Dienstag, Oktober 8, 2024
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Interview mit a Bridgestone Reifeningenieur: Ein Blick hinter die Kulissen der Welt des Motorradrennsports

Interview mit einem Bridgestone-Reifeningenieur: ein Blick hinter die Kulissen der Welt des Motorradrennsports

Motorradrennen sind eine Welt mit hoher Dynamik, in der jede Millisekunde zählt, und hinter jedem erfolgreichen Rennteam steht ein sorgfältiger Reifeningenieur. Wir haben uns mit Peter Baumgartner, auch bekannt als „Pit“, dem führenden Motorradreifeningenieur bei Bridgestone in der Langstrecken-Weltmeisterschaft, unterhalten, um herauszufinden, was seine Leidenschaft antreibt, auf welche Feinheiten es in seinem Job ankommt und welchen Herausforderungen er sich im schnelllebigen Umfeld des Motorradrennsports stellen muss.

Was hat ursprünglich Ihr Interesse geweckt, Reifeningenieur zu werden?

„Im Alter von 20-21 Jahren war ich Rennmechaniker und die Arbeit und Verantwortung eines Reifeningenieurs haben mich begeistert. Ich wollte diese Rolle übernehmen, um im Motorradrennsport voranzukommen“, erklärt er. „Als ich Ingenieure mit ihren Ordnern im Fahrerlager herumlaufen sah, wusste ich, dass ich das machen wollte.“

Wer oder was hat Sie dazu inspiriert, Motorradrennsport zu betreiben?

„Als ich 1989 mit meinem Motorrad das GP-Rennen in Hockenheim besuchte, schaffte ich es, ins Fahrerlager zu kommen, und fragte Martin Wimmer, einen GP250-Fahrer, nach einem Job“, erinnert er sich. „Wimmer war mein Held. Ursprünglich wollte ich ihn um ein Autogramm bitten, aber am Ende fragte ich ihn doch um einen Job. Ich begann als Fan.“

Einige Hintergrundinformationen: Martin Wimmer, geboren am 11. Oktober 1957 in München, ist ein ehemaliger Grand Prix-Motorradrennfahrer aus Deutschland. In den 1980er Jahren war es nicht ungewöhnlich, dass GP-Fahrer beim Schrauben halfen, was Wimmer oft tat. Er hatte eine zehnjährige GP-Karriere, hauptsächlich in der 250-ccm-Klasse, und gewann insgesamt drei 250-ccm-GPs. Sein bestes Jahr war 1985, als er den Großen Preis von Deutschland gewann, sich zwei zweite Plätze sicherte und die 250-ccm-Saison auf dem vierten Platz abschloss.

Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit als Reifeningenieur am besten und warum?

„Verantwortung zu übernehmen und das höchste Maß an Sicherheit und Leistung für das Team und den Fahrer zu gewährleisten, ist unglaublich befriedigend“, erzählt er.

Können Sie die Zusammenarbeit zwischen dem Reifeningenieur und dem Rennteam beschreiben, um die Reifenleistung vor einem Rennen zu maximieren?

„Innerhalb des Teams ist es wie ein Dreieck: Der Reifeningenieur, der Fahrwerksingenieur und der Teamchef arbeiten eng zusammen, um Fahrerkommentare und Telemetriedaten zu definieren und zu analysieren“, erklärt er. „Diese Zusammenarbeit hilft uns dabei, die bestmögliche Lösung zu finden, um mit der optimalen Reifenkombination ein sicheres und leistungsorientiertes Ergebnis zu erzielen. Der Reifenwechsel wirkt sich auf die Motorradeinstellungen aus, es geht also darum, das beste Paket zu finden.“

Welche Bedeutung haben Reifentests und -analysen in der Vorbereitungsphase?

„Auf die Daten kommt es an. Anhand von Reifentests, Prototypentests, Telemetriedaten und Fahrereingaben können wir den besten Reifen auszuwählen und die richtigen Anpassungen vorzunehmen“, fährt er fort. „Wir beginnen mit einer Referenz, definieren ein Ziel und treffen Entscheidungen. Mehr Grip ist nicht immer das Ziel; auch die Stabilität und Haltbarkeit der Reifen sind entscheidend. Die Streckenbedingungen und Temperaturen variieren stark, daher müssen wir sicherstellen, dass die Reifen von 5 °C in Le Mans nachts bis zu 55 °C in Suzuka gut funktionieren.“

Können Sie erklären, auf welcher Grundlage Sie Ihre Reifenauswahl treffen und wie sich diese auf die Leistung während des Rennens auswirkt?

„Die Wahl des Reifens basiert auf mehreren Faktoren: Streckenverlauf, Kurventypologie (Art der Kurve, zum Beispiel: geschlossene Kurve, offene Kurve, 90-Grad-Kurve), Tarmac-MU (bedeutet Grip-Index des Asphalts: Rauheit des Asphalts und Grip-Niveau), mögliche Wetterbedingungen und andere vertrauliche Themen. Wir verlassen uns auch stark auf unsere Erfahrung.“

Wie stellen Sie sicher, dass die Reifen den jeweiligen Streckenbedingungen gerecht werden?

„Vor jedem Rennen bewerten wir die Strecke anhand interner Messungen und Erfahrungen. Wir sehen uns den Streckenverlauf an und entscheiden, ob wir je nach Kurven weicher oder härter fahren“, merkt er an. „Dabei spielen historische Daten, Streckenverlauf, Wettervorhersage und Kenntnisse über Fahrer und Motorrad eine große Rolle.“

Wie überwachen Sie die Leistung der Reifen während eines Rennens?

„Die Rundenzeit ist eine klare Bestätigung. Bei EWC-Rennen gibt es 10 bis 27 Outs/Ins, daher sind die Rundenzeiten entscheidend. Nach den Boxenstopps überprüfen wir den Reifeninnendruck, das optische Verschleißbild und die Temperatur“, erläutert er.

Welche Maßnahmen ergreifen Sie, wenn während eines Rennens etwas mit den Reifen nicht stimmt?

„Sobald die Rennwoche beginnt, haben wir einen Backup-Plan auf dem Papier oder im Kopf. Wir haben einen Plan A, B, C und manchmal auch D. Das ist unsere Lebensversicherung in der Werkstatt“, sagte er. „Beim Bol d’Or 2023 zum Beispiel fing es am Samstag unerwartet an zu regnen. Ich ging vier Stunden früher zur Arbeit, um alle möglichen Szenarien, Lösungen und Konsequenzen zu notieren. Bei diesem Rennen kamen alle Pläne A, B, C und D zum Einsatz.“

Können Sie ein Beispiel nennen, bei dem Ihre Entscheidungen als Reifeningenieur einen großen Einfluss auf das Endergebnis hatten?

„Beim 8-Stunden-Rennen von Estoril im Jahr 2020 entschied ich mich für einen Reifen, der nicht die erste Wahl der Fahrer war. Nach dem zweiten Stint wechselte ich den Reifen, weil die Rundenzeit zu langsam war. Unsere Rundenzeiten verbesserten sich und wir gewannen das Rennen“, erinnert er sich. „Ich habe viele Beispiele, aber dieses ist mein Lieblingsbeispiel, da der von mir verwendete Reifen vom Fahrer nicht bevorzugt wurde. Diese Entscheidung zeigte, wie wichtig die Beziehung und das Vertrauen zwischen Ingenieur und Fahrer sind.“

Was ist für Sie als Reifeningenieur die größte Herausforderung bei einem EWC-Rennen?

„Wir müssen die Fahrbedingungen sicherstellen (alle Maßnahmen rund um die Vorbereitung kontrollieren), Lösungen für schwierige Situationen anbieten und die Reifenwahl aufgrund sich ändernder Umgebungs-/Streckentemperaturen ändern können, um dem Fahrer höchste Sicherheit zu gewährleisten und gleichzeitig die Leistung aufrechtzuerhalten. Der entscheidende Faktor bei EWC-Rennen mit vielen Boxenstopps und wechselnden Bedingungen ist Vielseitigkeit.“

Was ist der Unterschied zum Sprintrennen?

„Bei Sprintrennen (Superbike, MotoGP) konzentrieren wir uns auf maximale Leistung in kurzer Zeit, normalerweise zwischen 15 und 40 Minuten und zwischen 8 und 24 Runden, ohne Boxenstopps. Der Reifeningenieur trifft Entscheidungen auf Grundlage der Ergebnisse des freien Trainings und der Qualifikation. Bei Langstreckenrennen (wie EWC und nationalen Langstreckenrennen) sind die Rennen länger, mit mehr Boxenstopps und wechselnden Bedingungen. Als Ingenieur muss ich dabei Temperatur, Tag-/Nachtwechsel, Wetter und Kurven berücksichtigen, was das Ganze anspruchsvoller macht. Langstreckenrennen sind komplexer.“

Wie sammeln Sie Daten zur Reifenleistung während eines Rennens und welchen Einfluss hat dies auf die Zukunft der Reifenentwicklung?

„Nach dem Training und während des Rennens sammeln wir zunächst die Kommentare der Fahrer, dann überprüfen wir die Telemetriedaten, um die Kommentare der Fahrer noch einmal zu kontrollieren und zu bestätigen. Wir prüfen die Reifentemperatur, den Innendruck und den optischen Verschleiß. Diese Daten helfen uns dabei, die Leistung und Konsistenz der Reifen für zukünftige Rennen zu verbessern oder zu ändern“, erklärt er. „EWC-Tests sind auch entscheidend für die Entwicklung unserer Rennreifen für die Massenproduktion für den Einzelhandel.“

Welches war das denkwürdigste Rennen Ihrer gesamten Karriere und warum?

„Das Shanghai-Rennen 2008 mit dem Yamaha Factory Team und Valentino Rossi war einfach unvergesslich. Ich entschied mich für einen Hinterreifen, den wir noch nie zuvor verwendet hatten, und das Ergebnis war mein erster MotoGP-Sieg und Yamahas erster Sieg auf Bridgestone Reifen mit Rossi“, erinnert er sich gern.

Wie lernt man als junger Ingenieur, um dieses Niveau zu erreichen?

„Bei Bridgestone, erhalten junge Ingenieure klare Verantwortlichkeiten und das Selbstvertrauen, Entscheidungen zu treffen. Mit diesem Ansatz lerne ich heute junge Ingenieure ein.“

Dieses ausführliche Gespräch mit Pit bietet einen Einblick in die Hingabe und Präzision, die in der Welt des Motorradrennsports erforderlich sind. Von der ersten Inspiration bis hin zur Planung und Entscheidungsfindung in Echtzeit ist klar, dass die Reifentechnik sowohl eine Kunst als auch eine Wissenschaft ist und für den Erfolg und die Sicherheit von Rennteams weltweit von entscheidender Bedeutung ist.

 

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